Die Zeitschrift des Deutschen Hochschulverbandes Forschung und Lehre (November 2014) hat den Schwerpunkt Gender. Für die inter-/transdisziplinäre Geschlechterforschung leisten die Beiträge der Autorinnen Andrea Geier, Bettina Hannover, Carmen Leicht-Scholten und Bettina Pfleiderer aus der Perspektive ihrer jeweiligen (inter-)disziplinären Verortungen eine informative, sachliche und kontroverse Bestandsaufnahme. Diesen Beiträgen ist bedauerlicherweise ein polemischer Artikel von Stefan Hirschauer vorangestellt, der nicht nur den Anspruch der Deutungshoheit über das gesamte Forschungsgebiet erhebt, sondern Gender Studies vom ‚Makel‘ des Feminismus zu ‚reinigen‘ sucht und ein Wissenschaftsverständnis postuliert, das weit hinter die selbstreflexiven Potentiale der Gender und Queer Studies zurückfällt. Eines unserer Mitglieder, der Kultur- und Medienwissenschaftler Stephan Trinkaus, hat diesen Artikel auf eine Weise kommentiert, der wir uns als Vorstand anschließen können. Daher möchten wir ihn an dieser Stelle allen Mitgliedern der FG und allen anderen Interessierten zugänglich machen.

Wissenschaft braucht den Feminismus nicht

Der Mainzer Soziologe und Genderforscher Stefan Hirschauer hat einen Artikel in der Zeitschrift eines akademischen Interessenvertretungsverbands veröffentlicht, in dem er die Gender Studies in drei Teile gliedert:

Eine, die Gender als „beschwichtigende Umbenennung der feministischen Geschlechterforschung“ missbraucht, eine, für die Gender „als rhetorisches Mäntelchen für bürokratische Frauenfördermaßnahmen“ dient und eine ‚kulturwissenschaftliche‘ Forschung, die, „klar, heiter, kritisch, theoretisch innovativ und empirisch lernfähig“,– wenn ich es richtig verstehe – zufällig weitgehend mit seiner eigenen Person identisch ist. Dass nur die letztere dem „präzisen“, von Hirschauer selbst festgelegten „Sinn von Gender Studies“ entspricht, nämlich die vorläufige Dimension der Geschlechtlichkeit als Mittel zu größeren Zwecken einzusetzen, versteht sich dabei ganz von selbst. Was diese ‚richtige‘ Genderforschung ausmacht, ist, dass sie sich nicht hineinziehen lässt in die politischen Auseinandersetzungen um Geschlecht, dass sie sich also neutral und wertfrei, gewissermaßen asexuell, mit Sex und Gender zu befassen in der Lage ist. Gender Studies – und das ist für Hirschauer sehr wichtig – sind eine rein kulturwissenschaftliche Forschungsrichtung (keine Disziplin), die mit den Naturwissenschaften nur insoweit etwas zu tun hat, als diese selbst zu ihrem Gegenstand werden, und mit Sexualität und Geschlecht nur insofern, als sie „einer sozialen Praxis“ entsprechen, „die stattfindet oder nicht“. Gender hat hier mit Sex so wenig zu tun wie Wissenschaft mit Politik oder Macht oder Ungleichheit.

Wissenschaft, oder besser: ‚Kulturwissenschaft‘ handele, so scheint es hier, demnach von einer Welt, die ausschließlich nach den Gesetzen der sie beobachtenden Wissenschaft konstruiert ist, die sich ihr also unaufgeregt und widerstandslos ergibt. Diese Wissenschaft ist gewissermaßen gar keine Praxis mehr, sondern ungetrübte Einsicht in das kulturelle und soziale Wesen der Welt selbst. Es überrascht insofern nicht, dass Stefan Hirschauer sich irgendwie unwohl zu fühlen scheint, mit der aktuellen Situiertheit der Gender Studies, gründen sie ihre Praxis doch auf der Kritik gerade dieser sowohl in den Natur- als auch in den Kulturwissenschaften verbreiteten Perspektive:

„Diese Selbstunsichtbarkeit ist die spezifisch moderne, europäische, maskuline, wissenschaftliche Form der Tugend der Bescheidenheit. Es ist diese Form der Bescheidenheit, die ihre Praktiker in der Münze epistemologischer und sozialer Macht auszahlt. […] Diese Tugend garantiert, daß der anspruchslose Zeuge zum legitimen und autorisierten Bauchredner der Objektwelt wird, der von seiner bloßen Meinung oder seiner körperlichen Befangenheit nichts hinzufügt. Seine Subjektivität ist seine Objektivität. Seine Erzählungen haben eine magische Kraft – sie verlieren alle Spuren ihrer Entstehung als eine Geschichte, als Erzeugnis parteilicher Unternehmungen, als anfechtbare Darstellung oder als konstruierter Beweis. Aus den Erzählungen werden klare Spiegel, durch und durch magische Spiegel, ohne sich je auf Transzendentes oder Magisches berufen zu müssen.“ (Donna Haraway, Modest Witness)

Stefan Hirschauer hat also völlig recht, wenn er sein (in diesem Artikel artikuliertes) Wissenschaftsverständnis, das auf der dichotomen Trennung von Subjekt und Objekt, Natur und Kultur, Sex und Gender, Politik und Wissenschaft beruht, dem gegenüberstellt, was er eine „feministische Gegenwissenschaft“ nennt. Feminismus – und das ist jetzt eine situierte, nichtneutrale und gerade deshalb wissenschaftliche These – ist im Kern die grundlegende Infragestellung dieser wohlfeilen, das Leben männlicher Wissenschaft sicher erleichternden Dichotomien: von Kollontai und de Beauvoir über Irigaray und Haraway bis Butler und Barad. Sicher, diese Infragestellung, dieses Fragen ist nicht auf die Gender Studies beschränkt, sie ist nicht nur in den Kulturwissenschaften Gegenstand intensiver Debatten, und natürlich gab und gibt es auch eine Geschlechterforschung vor dem und jenseits des Feminismus. Worum es hier geht, ist aber gerade das Begehren, die Sehnsucht, dorthin zurückkehren zu können, sich also Fragen der geschlechtlichen Differenz neutral, nichtgegendert, nichtbetroffen – man könnte mit Haraway sagen: maskulin – zuwenden zu dürfen.

Man muss Stefan Hirschauer fast dankbar sein, dass er die Untiefen eines schlichten Sozialkonstruktivismus, die neutrale ‚Bescheidenheit‘ des wissenschaftlichen Zeugen und die vermeintliche Nichtbetroffenheit wissenschaftlicher ‚Professionalität‘ in der Performanz seines Artikels so außerordentlich eindrucksvoll unterlaufen hat: Er macht „die Stimmungen und Strömungen, in denen er sich artikuliert“ sehr gut sichtbar: Ein durchdringendes Es muss doch endlich einmal Schluss sein damit! Gender Studies endlich Teil der wissenschaftlichen Normalität werden, (bei Hirschauer heißt das: „dem thematischen Separatismus ein Ende“ setzen), oder – was nur ein scheinbarer Widerspruch zu der selbst eingeklagten Neutralität gegenüber Ungleichheitsverhältnissen ist: „die vorhandenen Benachteiligungen von Jungen und Männern“ müssen doch auch einmal gesagt werden dürfen. Kurz: die ‚Gender Studies‘, die Stefan Hirschauer meint, machen sich durchaus mit einer Sache gemein, wie jede Wissenschaft, die es ernst meint mit der Wissenschaftlichkeit, nur eben mit keiner guten.

Stephan Trinkaus, 06. November 2014
Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

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