2011 „Verletzbarkeiten“

„Verletzbarkeiten“

1. Jahrestagung der wissenschaftlichen Fachgesellschaft Geschlechterstudien/Gender Studies Association
21./22. Januar 2011, LMU München

Weiterführende Links zur Tagung

Zeitschrift Feministische Studien. Schwerpunktheft zum Thema Verletzbarkeiten.
Online-Ausgabe Nov. 2011

Thema

Viel ist in jüngster Zeit von der Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse die Rede. Bezeichnet werden hiermit die individuellen und sozialen Auswirkungen, die der Ab- und Umbau rechtlicher bzw. sozialer Sicherungssysteme sowie die Privatisierung öffentlicher Aufgaben in den politischen und ökonomischen Zentren des globalisierten Kapitalismus mit sich bringen.

Durch radikalisierte Individualisierungsprozesse sind bzw. scheinen Personen weitaus verletzbarer als zuvor. Die Verletzbarkeit oder Verwundbarkeit ergibt sich aus ökonomischen Bedingungen, psychischen Belastungen oder auch rechtlichen Veränderungen. Durch den auf die körperliche Verfasstheit abzielenden und über diese zugleich hinaus weisenden Begriff der Verletzbarkeit werden Fragen eröffnet, die gleichermaßen die physischen und psychischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen, rechtlichen, ethischen und politischen Dimensionen sozial geteilten Lebens in den Blick nehmen. Allerdings liegt in der Rede von Verletzbarkeit auch eine problematische Ambivalenz: Wenn bestimmten Personen oder Gruppen eine herausragende „Verwundbarkeit“ (vulnerability) zugesprochen wird, folgt daraus eine besondere Schutzbedürftigkeit – aber auch die Aberkennung ihrer Handlungsfähigkeit, also Formen des Paternalismus. Ebenso problematisch kann die gegenteilige Behauptung sein, dass alle Menschen durch Verwundbarkeit gekennzeichnet sind, wenn damit das ungleich verteilte Risiko, Verletzungen zu erleiden, nivelliert wird.

Die erste Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien / Gender Studies Association (Gender e.V.) lenkt die Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Verletzbarkeit. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche geschlechtlich relevanten Dimensionen der Begriff Verletzbarkeit im Einzelnen beinhaltet. Was heißt es also, geschlechtertheoretisch zu fragen, wie mit potentieller und realer Verletzbarkeit und wie mit konkreten Verletzungen umgegangen wird? Wie kann mit Verletzbarkeit und mit Verletzungen umgegangen werden, ohne Handlungsfähigkeit abzusprechen oder zu verlieren?

Die Frage nach der Verletzbarkeit fordert alle akademischen Disziplinen und die inter- und transdisziplinäre Forschung heraus. So wird die Tagung auch einen Dialog zwischen verschiedenen disziplinären Zugriffen eröffnen.

Darüber hinaus soll diskutiert werden, wie sich die Fachgesellschaft Geschlechterstudien / Gender Studies Association (Gender e.V.) weiter entwickelt.

Programm:

Freitag, 21.01.2011

12.00 – 14.00h
Gemeinsamer Lunchtalk mit der KEG* zum Thema „Umbau der Hochschulen – Gender (nur) als Ressource?“ (Raum HGB F 107)
*KEG = Konferenz der Einrichtungen für Frauen‐ und Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum
14.00 – 14.30h
Begrüßung durch Prof. Paula‐Irene Villa (LMU München) und den Vorstand
14.30 – 16.30h Erste Debatte
Corinna Bath (Berlin), Hanna Meißner (Berlin), Susanne Völker (Köln), Stephan Trinkaus (Düsseldorf): Geschlechter Interferenzen: Verletzbarkeit, Handlungsfähigkeit und Wissen
Sylvia Pritsch (Hamburg): Verletzbarkeit im Netz – der (männliche) Troll und die (weibliche) Verwundbarkeit
Christa Binswanger (Basel): Zur Verstrickungsbeziehung von Verletzbarkeit und Intimität
Moderation: Heike Zeller (München)
16.30 – 17.00h Pause
17.00 – 19.00h Zweite Debatte
Merve Winter (Berlin): Doing‐Gender in der Lebend‐ Organspende. Sind Frauen das vulnerablere Geschlecht?
Kathrin Zehnder (Basel/ Zürich): »Man hat mich so  beschädigt« Grenzverläufe von Heilung und
Verletzung am Beispiel medizinischer Eingriffe in intersexuelle Körper
Antje Kampf (Mainz): Instabile Körper? Über die Unsichtbarkeit der Infertilität beim Mann: Überlegungen aus der Perspektive einer historischen Epistemologie
Zara Pfeiffer (München): Die Inszenierung von (Un‐)Verwundbarkeit. Selbstverletzung als Performance
Moderation: Barbara Thiessen (Landshut)
ab 19h Buffet + Abendveranstaltung im Lichthof

Samstag, 22.01.2011

09.00 – 10.45h Dritte Debatte
Magdalena Freudenschuß (Berlin): Wider der Verletzbarkeit: Der öffentliche Prekarisierungsdiskurs
als Abwehrstrategie
Isabell Lorey (Berlin/ Wien): Prekär leben. Gouvernementale Prekarisierung und existentielle Verletzbarkeit
Margrit Brückner (Frankfurt a.M.): Care Prozesse und Verletzungsrisiken: Sorgen aus der Perspektive der Akteurinnen und Akteure
Moderation: Imke Schmincke (München)
10.45 – 11.00h Pause
11.00 – 12.45h Mitgliederversammlung
12.45 – 13.15h Mittagspause
13.15 – 14.15h Mittagsforen
14.15 – 14.30h Pause
14.30 – 16.30h Vierte Debatte
Jorma Heier (Osnabrück): Das Konzept der Verantwortlichkeit für Verletzbarkeit neu gedacht
Volker Woltersdorff (Berlin): Neue Bündnispotenziale oder neue Unschärfen? Zum Begriff der Prekarisierung von Geschlecht, Arbeit und Leben
Bettina Fritzsche (Berlin): Regulationen von Verletzbarkeit durch schulische Normen
Linda Hentschel (Berlin): Die Aufteilung des Gefährdeten: Bilderpolitiken und Geschlechterverhältnisse in aktuellen Kriegen
Moderation: Nadine Sanitter (München)
16.30 – 17.00h Verabschiedung, Ausklang

Mittagsforen

Samstag 13.15 – 14.15h
Mit den „Mittagsforen“ steht Raum zum Austausch und Vernetzung zu spezifischen Themen zur Verfügung.
Bei Interesse an der Initiierung eines Forums bitte eine kurze Darstellung per Email an mail(at)fg-gender.de schicken oder diese am Ende der Mitgliederversammlung ankündigen.

Bislang angekündigte Foren:

1. Forum Nachwuchs (Organisatorinnen: Anja Michaelsen & Aline Oloff )
Das Forum richtet sich an diejenigen, die sich als „Nachwuchs“ in den Gender Studies verstehen. Es soll eine Möglichkeit zum wechselseitigen Kennenlernen eröffnen und darüber hinaus in Erfahrung bringen, ob und welchen Bedarf es an einer Nachwuchsplattform unter dem Dach der FG gibt. Diskutiert werden könnten Fragen wie: Sind die Gender Studies ein Fach? Was bedeutet diese Frage aus der Perspektive des wissenschaftlichen „Nachwuchses“? Welche Vorteile/Nachteile bringt die Gender-Ausrichtung für die wissenschaftliche Arbeit/Laufbahn? Wie lassen sich Gender-Interessen in der bestehenden Wissenschaftslandschaft stärken? Welche Erwartungen können diesbezüglich vom „Nachwuchs“ formuliert werden?

Abstracts:

Im Folgenden finden Sie zu den einzelnen Vorträgen (in alphabetischer Reihenfolge) den Abstract.
Corinna Bath (Berlin), Hanna Meißner (Berlin), Stephan Trinkaus (Düsseldorf), Susanne Völker (Köln): Geschlechter Interferenzen: Verletzbarkeit, Handlungsfähigkeit und Wissen
Christa Binswanger (Basel): Zur Verstrickungsbeziehung von Verletzbarkeit und Intimität
Margrit Brückner (Frankfurt am Main): Care Prozesse und Verletzungsrisiken: Sorgen aus der Perspektive der Akteurinnen und Akteure
Magdalena Freudenschuß (Berlin): Wider der Verletzbarkeit: Der öffentliche Prekarisierungsdiskurs als Abwehrstrategie
Bettina Fritzsche (Berlin): Regulationen von Verletzbarkeit durch schulische Normen
Jorma Heier (Osnabrück): Das Konzept der Verantwortlichkeit für Verletzbarkeit neu gedacht
Linda Hentschel (Berlin): Die Aufteilung des Gefährdeten: Bilderpolitiken und Geschlechterverhältnisse in aktuellen Kriegen
Antje Kampf (Mainz): Instabile Körper? Über die Unsichtbarkeit der Infertilität beim Mann: Überlegungen aus der Perspektive einer historischen Epistemologie
Isabell Lorey (Berlin/ Wien): Prekär leben. Gouvernementale Prekarisierung, Prekärsein und Sorge
Zara Pfeiffer (München): Die Inszenierung von (Un‐)Verwundbarkeit. Selbstverletzung als Performance
Sylvia Pritsch (Hamburg): Verletzbarkeit im Netz – der (männliche) Troll und die (weibliche) Verwundbarkeit
Merve Winter (Berlin): Doing-Gender in der Lebend-Organspende. Sind Frauen das vulnerablere Geschlecht?
Volker Woltersdorff (Berlin): Neue Bündnispotenziale oder neue Unschärfen? Zum Begriff der Prekarisierung von Geschlecht, Arbeit und Leben
Kathrin Zehnder (Basel/ Zürich): »Man hat mich so beschädigt« Grenzverläufe von Heilung und Verletzung am Beispiel medizinischer Eingriffe in intersexuelle Körper