Ein berühmter Kupferstich von 1759, der die Darsteller*innen Barry Spranger (Romeo) und Mary Isabella Nossiter (Juliet) bei den Proben zu Shakespeares Romeo and Juliet im Covent Garden Theatre zeigt, führt eine Pathosformel vor, die stärker nicht in der westlichen Liebeskultur verankert sein könnte: die Balkonszene. Obwohl die allseits bekannte zweite Szene des zweiten Aktes der Tragödie der star-crossed lovers von 1597 den Balkon nicht erwähnt – denn dieses Lexem ist erst ab 1618 in der englischen Sprache nachgewiesen – so scheint die Balkonszene ohne Balkon dennoch emblematisch für jene Architektur und Dramaturgie der Liebeszene zu stehen, wie sie, scheinbar natürlich, in der Literatur- und Kulturgeschichte verankert worden ist. In der Untersuchung gilt es, die Verschränkung von Architektur, Medium und Begehren in der Liebeszene am Balkon zuallererst theoretisch zu erfassen und dann anhand von Beispielanalysen literarischer, künstlerischer und medialer Balkone anzuwenden. Es stehen dabei vor allem Performanz- und Performativitätstheorien im Fokus, die im Lichte des spatial und emotional turn reflektiert werden sollen. Ziel ist es so, den Balkon einerseits als literarisch-topische Pathosformel in seiner v.a. dramatischen Tradition zu beleuchten; andererseits steht auch seine Verschränkung mit Prozessen medialer Normierung und Naturalisierung von Affektökonomien und Geschlechterverhältnissen im jeweiligen soziohistorischen Kontext der untersuchten Artefakte im Fokus. Das Untersuchungscorpus ist transmedial und transnational angelegt: es reicht so vom altkokzitanischen zum romanischen u.a. anglophonen Kulturraum und umfasst ein mediales Spektrum, das von der Troubadourlyrik über die französische Komödie des siècle classique bis zum Ramazotti-Werbespot der 00er-Jahre reicht.