Während Sexualwissenschaftler_innen in den letzten Jahren über das Ende des Zeitalters der Sexualität spekuliert haben und in vielen sexuellen Angelegenheiten gilt, ›Erlaubt ist, was gefällt, so lange es niemandem schadet‹, hat eine Figur aus den Katalogen sexueller Abweichung des 19. Jahrhunderts bis heute überlebt und diskursiv enorm an Bedeutung gewonnen: Die Figur des Pädophilen. Sexualforscher des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beurteilten Pädophilie als randständiges, beide Geschlechter betreffendes Phänomen und maßen ihr relativ wenig Beachtung zu. Im Nationalsozialismus erfuhr der Pädophiliediskurs über die Popularisierung der Figur des ›jüdischen Kinderschänders‹ eine antisemitische Aufladung. In den 1970/80er Jahren wiederum suchten Sexualwissenschaftler teilweise unisono mit der Pädophilenbewegung sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern zu entkriminalisieren. Heute drehen sich die Diskussionen um Sicherheit und Risikomanagement und die Diagnose ›Pädophilie‹ wird primär bei Männern gestellt. Gleichzeitig entwickelt sich sexualwissenschaftliche Pädophiliediagnostik tendenziell weg von der Foucaultschen Geständnis- hin zu einer Technowissenschaft. Das Diskursfeld hat insbesondere im deutschsprachigen Raum seit dem 19. Jahrhundert mehrere radikale Wendungen erfahren, die immer eng mit biopolitischen Fragen verknüpft waren und nicht allein auf Veränderungen der Sexualmoral oder Paradigmenwechseln bezüglich des Schutzes von Kindern beruhen. Hier werden Grenzen sexualwissenschaftlicher Interventions- und biopolitischer Inklusionsmöglichkeiten verhandelt. Der Pädophiliediskurs und seine Verknüpfungen mit biopolitischen Fragen anhand ausgewählter diskursiver Wendungen, Verdichtungen und Brüche zwischen den 1890er Jahren und heute stehen dementsprechend im Zentrum meines Projektes. Ich werde die Wandlungen im Pädophilie-Diskurs von der selten diagnostizierten Sexualpathologie des 19. Jahrhunderts hin zu einer der Gefahrenfiguren des 21. Jahrhunderts und ihre Verknüpfungen mit anderen Diskurssträngen in meiner Dissertation nachzeichnen und sie auf ihre biopolitischen Funktionen hin untersuchen. Als roter Faden und Quellenbasis dienen mir sexualmedizinische Verhandlungen von Pädophilie und ihre breitere gesellschaftliche Rezeption.