Wie können queere Bestrebungen in Kunst und visueller Kultur hegemoniale Repräsentationsregime unterwandern und assimilatorische und intelligible Raster der Verstehbarkeit infrage stellen? Meine Doktorarbeit möchte dieser Frage vor dem Hintergrund einer paradoxen politischen Situation auf den Grund gehen, die sich spätestens seit 2000 im Globalen Norden immer weiter zuspitzt: gemeint ist die kommerzielle, kapitalistische und rechtliche Vereinnahmung der LSBT*I*Q+-Kultur bei gleichzeitiger Zunahme des rechtsextremen Nationalismus mit seinen rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben und sexistischen Tendenzen. Folgende vier zeitgenössische künstlerische Fotoserien, die nicht zwangsläufig einen menschlichen Körper zur Identifikation, Dis- oder Gegenidentifikation zu sehen geben, bilden den Ausgangspunkt meines Promotionsvorhabens: (1) Außenfassaden ehemaliger und noch bestehender lesbischer Bars in „The Boy Mechanic/Los Angeles“ (seit 2005) von Kaucyila Brooke; (2) (menschen-)leere Betten in privaten Räumen geschlossener und noch existierender schwuler Badehäuser in „In Between Days (Without You)“ (1998) von Dean Sameshima; (3) US-amerikanische Nationalparks in „Climate Vortex Sutra“ (2014) von David Benjamin Sherry und (4) kameralos erzeugte Lichträume, sogenannte Luminogramme, in „Freischwimmer“ (seit 2001) von Wolfgang Tillmans. Ausgehend davon, dass das auf den Fotoserien Zu-Sehen-Gegebene in Abhängigkeit steht zu individuellen und sozialen Kontexten, die Bedeutungen konstituieren und strukturieren, ist der Ausstellungskontext vom besonderen (Erkenntnis-)Interesse: Denn hier hängen die Fotografien räumlich häufig mit anderen Exponaten zusammen, wodurch Mehr- und Uneindeutigkeiten, unlösbare Widersprüche und Ungewissheiten entstehen. Für die Analyse der Fotoserien unter exemplarischer Berücksichtigung ihrer Präsentation in Ausstellungen habe ich Displays aus folgenden Ausstellungskontexten ausgewählt: für „The Boy Mechanic/Los Angeles“ (seit 2005) ein Display aus der Ausstellung „Warum etwas zeigen, was man sehen kann?“ (25.02.-07.05.2006) in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig; für „In Between Days (Without You)“ (1998) ein Display aus der Ausstellung „Art AIDS America“ (01.12.2016-02.04.2017) in der Alphawood Gallery in Chicago; für „Climate Vortex Sutra“ (2014) ein Displays aus der Ausstellung „Climate Vortex Sutra – David Benjamin Sherry“ (07.09.-31.10.2014) in der Galerie Salon 94 Bowery in New York und für „Freischwimmer“ (seit 2001) eine Installation (2004-09) in der Panorama Bar im Berliner Nachtclub Berghain. Da jede Lesart von visuellem Material abhängig ist von Begehren, Gefühlen und Affekten sowie von Sehgewohnheiten, Erwartungen und Vorwissen der Rezipierenden, liegt meinem Promotionsvorhaben ein experimentell-exploratives Untersuchungsdesign mit transdisziplinären, konzeptbasiertem und normkritischem Charakter zugrunde. Folgende Forschungsfrage möchte ich beantworten: Inwiefern intervenieren die Fotografien von Brooke, Sameshima, Sherry und Tillmans und ihre Präsentation in Ausstellungskontexten in normative Diskurse von Sexualität, Geschlecht und Begehren? Für die Beantwortung verschränke ich im Rahmen queerender (Re-)Lektüren zwei Analysestränge miteinander: Zum einen beschäftige ich mich im Rahmen repräsentationskritischer Analysen mit der jeweils spezifischen Weise der Gemachtheit des Zu-Sehen-Gegebenen; zum anderen ergründe ich das antizipative und transformatorische Bewegungen ermöglichende Potenzial psychoanalytischer und phänomenologisch-affektiver (Erfahrungs-)Dimensionen im Rezeptionsprozess. Meine Hypothese ist, dass die Serien zusammen mit ihren Ausstellungspräsentationen ‚radikal-ambigue Politiken queerer Un__Sichtbarkeit(en)‘ (Klaassen 2019a, b) hervorbringen, die nach bekannten Mustern nicht abschließend gelöst werden können und stattdessen im Zittern verharren und dadurch letztlich Räume der Unklärbarkeit und des Dazwischen-Seins herstellen, die von Normierungszwängen zu befreien vermögen. Die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Dissertation liegt im Erforschen ästhetischer Strategien, die Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Sexualität und Begehren entgegenwirken. In einer engen Verzahnung von Wissenschaft, Kunstkritik und Aktivismus nehme ich die soziale (queere) Produktivität von künstlerischen Fotografien zusammen mit ihren Ausstellungspräsentationen in den Blick und entwickle neue Denkansätze für das Verständnis von Politik und emanzipatorischer Gestaltbarkeit im Feld von Kunst und visueller Kultur.