Das inter- und transdisziplinäre Feld der Gender Studies zeichnet sich durch verschiedene theoretische Ansätze, Methodologien und Genealogien aus, die mittels der Analyse vergeschlechtlichter Ordnungen, Verhältnisse und Konstruktionen danach streben, die eigenen Leerstellen und theoretischen wie epistemologischen Selbstverständnisse herauszufordern. Unter anderem dekoloniale und transnationale Feminismen, Schwarze Feminismen, feministische Grenzstudien, diasporische Feminismen, indigene Feminismen sowie die Queer Diaspora Kritiken haben zuletzt dazu beigetragen, kritische Ansätze weiter zu etablieren. Erkenntnistheoretische und methodologische Werkzeuge wie beispielsweise Intersektionalität oder die Situiertheit von Wissen sind wichtige Ankerpunkte zur kritischen Evaluation von Praktiken der Wissensproduktion. Aufbauend auf der Frage, wessen Stimmen zum Schweigen gebracht wurden und werden sowie welche rassifizierten und vergeschlechtlichten Lebensweisen verAndert und ausgeschlossen werden, wurde hegemoniale Wissensproduktion in ihrer systematischen Beziehung zu Prozessen des Ausschlusses, der Abwertung und des Othering untersucht. Zentral ist u.a. die Befragung von Geschlecht und Sexualität als koloniale Wissenskategorien sowie die kritische Reflexion der Kontinuität kolonialer Logiken wie der Zentrierung weißer und eurozentrischer Perspektiven in den Gender Studies.

Während intersektionale und herrschaftskritische Perspektiven in den Gender Studies und darüber hinaus mittlerweile etabliert sind, existieren zugleich weiterhin Forderungen nach einer Dekolonisierung von Wissenschaft, Wissensproduktion und Lehre sowie der akademischen Institutionen selbst. Denn Praktiken der Dekolonisierung und damit der Abbau epistemischer Gewalt und struktureller Ungleichheit müssten weit über neoliberale Ansätze der Reformierung hinausgehen, um das Erbe kolonialer Machtstrukturen in Frage zu stellen und Modi des epistemischen Wandels zu ermöglichen. Eine konsequente Berücksichtigung von post- und dekolonialem Wissen und der Herstellung Europas und seiner ‚Wissenstraditionen‘ in ihren globalen Verflechtungsgeschichten ist in der Wissenschaft der Länder des Globalen Nordens, also auch in der deutschen Wissenslandschaft, bei weitem nicht selbstverständlich. Es gilt also auch für und an die Gender Studies die Fragen zu stellen, wie post- und dekoloniale Perspektiven stärker berücksichtigt werden können.

Die Spring School „Decolonizing Gender Studies“ will einen Raum für den Austausch zwischen post- und dekolonialen, feministischen, queeren und antirassistischen Perspektiven, Praktiken und Visionen schaffen. Wir wollen die Komplexität, Herausforderungen und Paradoxien von Dekolonisierung im Feld der Gender Studies in Deutschland thematisieren und dazu beitragen, koloniale, eurozentrische, rassistische und heteronormative Hierarchien und Ausschlüsse zu entprivilegieren, zu verlernen und abzubauen. Eingeladen sind Wissenschaftler_innen, Künstler_innen und Aktivist_innen, die den Wunsch haben, über künstlerische und aktivistische Positionen sowie Forschungsbereiche hinweg in einen Dialog zu treten. Ziel der Spring School ist es, gegenwärtige Debatten, Fragen und Herausforderungen zur Dekolonisierung aus Perspektive der Gender Studies zu diskutieren sowie (neue) Visionen und Interventionen kollektiver dekolonisierender Strategien der Gender Studies zu erschaffen.

Wir laden insbesondere Beitragende ein, die sich theoretisch, literarisch, epistemologisch, methodologisch und empirisch oder aktivistisch verschiedenen Ansätzen der Dekolonialisierung der Gender Studies widmen. Wir freuen uns auf Beiträge beispielsweise aus den Bereichen der postkolonialen Geschlechterforschung, den Critical Race Studies, den Indigenous- und Cultural Studies, Critical Whiteness Studies, der Migrationsforschung, den Trans* und Queer Studies, den Disability Studies, sowie den feministischen STS, die sich folgenden Fragen widmen:

  • Wie kann und muss transnationale feministische Solidarität gestaltet sein?
  • Wie solidarisch kann und muss feministische Wissensproduktion sein? Wie aktivistisch kann und muss Forschung und wie forschend Aktivismus sein?
  • Wenn Geschlecht als koloniale Wissenskategorie und als Bestandteil der kolonialen Matrix des Denkens analysiert wird, was bedeutet dies für die Reformulierung der Kategorie Geschlecht in der Geschlechterforschung?
  • Wie sind (deutsche) Universitäten beteiligt an der Reproduktion kolonialer Verhältnisse? Was meint ‚Dekolonisierung der Universität‘ sowie ‚Dekolonisierung von Wissensproduktion‘? An welche Konzepte und Praktiken kann dabei angeknüpft werden? Wie könnte eine dekoloniale Universität aussehen?
  • Welche historischen, theoretischen, künstlerischen, literarischen oder aktivistischen Konzepte und Analysen fordern die Gender Studies heraus? Welche Hindernisse haben ihre Verbreitung verhindert? Wie können diese stärker als bisher in der Geschlechterforschung berücksichtigt werden?
  • Wie kann und muss Lehre vor dem Hintergrund dekolonialer Interventionen (neu) gestaltet werden? Wie kann insbesondere das Curriculum dekolonisiert werden?

Neben Diskussionsveranstaltungen sind Workshops zu „Migration und Asyl“, „Extraktivismus“, „Land und Territorium“, „Digitalisierung und Dekolonisierung von AI“ oder „Dekolonisierung der Universität“ (u.a. mit Inputs zu visueller und künstlerischer Geschlechterforschung, aktivistischer und partizipativer Geschlechterforschung, Forschungspraxis und Publikationspraktiken, pädagogischen Strategien und Arbeitsbedingungen) gewünscht. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Queering dekolonialer, postkolonialer und intersektionaler Forschung.

Wir laden dazu ein, Beitragsangebote für Einzelbeiträge, Workshops, Posterpräsentationen oder Performances in deutscher, englischer und spanischer Sprache einzureichen. Bitte geben Sie an, in welchen Sprachen Sie Ihren Beitrag halten können und ggf. zu welchem Workshop Sie beitragen wollen. Alle sind eingeladen, Workshopthemen und Formate einzureichen, die nicht im Call angesprochen wurden.

Bitte senden Sie ein Abstract (max. 500 Wörter) mit einer bio-note (max. 100 Wörter), und Kontaktinformationen bis zum 30.09.2021 in einer PDF-Dabei an decolonizing-genderstudies@uni-kassel.de.

Die Möglichkeit zur Kinderbetreuung ist gegeben – bitte geben Sie bei der Einreichung Ihres Abstracts an, ob Sie diese ggf. in Anspruch nehmen würden, damit wir entsprechend planen können. Wir streben danach, die Spring School möglichst barrierearm zu gestalten. Bitte teilen Sie uns Ihre Erfordernisse mit, damit wir diese von Anfang an berücksichtigen können. Teilen Sie uns bitte auch technische, zeitliche und andere Voraussetzungen für Ihre Teilnahme mit.

Wir gehen davon aus, dass die Veranstaltung in Präsenz stattfinden kann, weisen aber darauf hin, dass wir den Rahmen der Spring School ggf. anpassen müssen, falls das pandemische Geschehen dies erfordert. Wir werden Sie über etwaige Änderungen so schnell wie möglich informieren.

Die Spring School wird von einer heterogenen Gruppe von im akademischen Umfeld des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel verankerten Personen sowie in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien organisiert.

 

The inter- and transdisciplinary field of Gender Studies is characterized by various theoretical approaches, methodologies and genealogies that strive to address gendered orders, relations and constructions in order to identify its gaps and challenge its normalized truths and self-understandings. Transnational Feminisms, Black Feminisms, Feminist border-thinking, Diasporic Feminisms, Indigenous Feminisms and Queer Diaspora Critique, among others, have been crucial in advancing critical perspectives. Epistemological and methodological tools like intersectionality and the emphasis on situated knowledge have been important anchors for critically evaluating practices of knowledge production. Building on the question of whose voices have been and continue to be silenced and which racialized and gendered ways of life have been othered and excluded, hegemonic knowledge production has been analyzed in its systematic relation to processes of exclusion, devaluation and Othering. In addition to this, the critical analysis of gender and sexuality as colonial categories of knowledge as well as the critical reflection of the reproduction of colonial logics such as the centering of white and Eurocentric perspectives have been central in the field of Gender Studies.

While intersectional and critical perspectives have become established within and beyond the field of Gender Studies, there is a growing call for decolonizing research, knowledge production and teaching especially within academic institutions. Practices of decolonization, including the dismantling of epistemic violence and structural inequalities, need to go far beyond neoliberal approaches of reform in order to radically challenge the legacies of colonial power structures and enable modes of epistemic transformation. The consistent consideration of post- and decolonial knowledges and of how Europe and its ‚knowledge traditions‘ have been produced through entangled global histories is still far from commonplace in the scholarship of the Global North, i.e., also in Germany. Therefore, Gender Studies needs to ask how post- and decolonial perspectives can be more strongly taken into account.

The spring school “Decolonizing Gender Studies” aims to establish a space for exchange between post- and decolonial, feminist, queer and antiracist perspectives, practices and visions. We seek to engage with the complexities, challenges and paradoxes of decolonization in the field of Gender Studies in Germany and contribute to the de-privileging, un-learning and dismantling of colonial, Eurocentric, racist, and heteronormative hierarchies and exclusions. We invite scholars, researchers, artists and activists to join into dialogue across artistic, activist and research areas. The Spring School aims to discuss current debates, questions and challenges on decolonization from a Gender Studies perspective and develop (new) imaginaries and collective decolonizing strategies and interventions.

We particularly invite contributions that engage theoretically, epistemologically, methodologically as well as from an empirical or/and an activist perspective with different approaches on decolonizing Gender Studies. We welcome contributions from (while not limited to) the fields of Postcolonial Feminist, Critical Race and Critical Whiteness Studies, as well as Cultural, Migration, Black, Indigenous, Queer, Trans*, Disability/Crip, and Feminist Science and Technology Studies related to the following questions:

  • What can transnational feminist solidarity look like?
  • What could and should solidarity mean for feminist knowledge production, research, and activism? How activist can and should research be and how research-oriented can and should activism be?
  • If gender is critically analyzed as a colonial category of knowledge and as a part of the colonial matrix of power and knowledge, what does this mean for re-thinking the category ‘Gender’ in Gender Studies?
  • How is the (German) university complicit in the reproduction of colonial relationships and patterns? What does ‘decolonizing the university’ and ‘decolonizing knowledge production’ entail? Which concepts and practices are helpful for this process? How might a decolonial university look like?
  • Which historical, theoretical, artistic, literary or activist concepts and analyses challenge Gender Studies? How has their dissemination been controlled and made difficult? How could they made to matter in and for Gender Studies?
  • How can and must teaching be (re)designed against the background of decolonial interventions? How can in particular the curriculum be decolonized?

In addition to broader discussion and dialogic formats, workshops on „Migration and Asylum“, „Extractivism“, „Land and Territory“, „Digitalization and the Decolonization of AI“ or „Decolonizing the University“ (with inputs on visual and artistic gender research, activist and participatory gender research, research and publication practices, pedagogical strategies and working conditions, among others) are planned. Another focus is on queering decolonial, postcolonial and intersectional research.

We invite proposals such as (but not limited to) single contributions, workshops, poster presentations, and performances in German, English and Spanish. Please indicate the language, which your contribution will be in and if applicable, which workshop you would like to take part in. Contributions with workshop topics and formats that are not addressed in the call, but related to the topic, are also welcome.

Please submit an abstract (max. 500 words) as well as a short bio-note (max. 100 words) and your contact details by 30th September 2021, in one PDF-file, to: decolonizing-genderstudies@uni-kassel.de.

Childcare will be available during the course of the Spring school -– please indicate if you will  make use of this offer when submitting your abstract so that we can plan accordingly. We aim to make the Spring School as accessible as possible. Please inform us of any other technical, time and other requirements for your participation.

We imagine that the Spring school will take place in person however, given the conjuncture of the pandemic, there is a possibility that the format of the Spring school will change. In the event of this, we will inform you of any changes as soon as possible.

The Spring School is organized by a heterogeneous group of people situated in the academic environment of the Department of Social Sciences at the University of Kassel in cooperation with board members of the Gender Studies Association.