Unter dem Titel wie ://sprechen wir #feminismus?// neue globale Herausforderungen beschäftigt sich das für Winter 2021/22 geplante Themenheft (Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur) mit der aktuellen Wiederbelebung und Reartikulation eines geschichtsmächtigen Begriffs. Nachdem der Feminismus zugunsten eines scheinbar inklusiveren Verständnisses von antidiskriminierender und intersektionaler Diversity etwas in den Hintergrund geraten war, nachdem also im akademischen Kontext statt Frauenforschung Gender Studies in den Fokus rückten, erlebt er gegenwärtig eine – zunehmend netzaffine – politische und kulturelle Wiederentdeckung. Proteste, Genderdebatten, Parolen und Aufforderungen laufen wieder unter dem Terminus „Feminismus“, zirkulieren via Hashtag global und mutmaßlich horizontal (bspw. #Feminismus gekoppelt mit #Aufschrei, #EqualPayDay, #FeministForeignPolicy, #BlackFeminismMatters, #ChildNotBride, #WhiteWednesday, #MosqueMeToo, #NotHeidisGirl, #FeministFriday, #GenderEquality, #EqualityMatters, #I chWill, #AccelerateAcceptance, #CripQueer, #LGBT, #LGBTQ, #LGBTQIA+, #WomenRightsAreHumanRights, #Post-Cyberfeminismus…).

Unter dem Begriff des Feminismus werden globale Mahnrufe nach Inklusivität – wie derjenige der nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie: We should all be Feminists (2014) – laut, werden alte Klassikerinnen neu übersetzt, Lesegruppen und Kollektive gegründet und eine als ökofeministisch aufgefasste Emanzipation von der Natur manifest-artig gefordert: „Wenn die Natur ungerecht ist, ändere die Natur“ (Xenofeministisches Manifest / A Politics for Alienation 2015, #XenoFeminism). Das klingt zunächst, als würden Theorien und Praktiken der 1970er Jahre wiederentdeckt oder auch wiederaufgelegt werden. Doch haben sich die Horizonte der Differenz- versus Gleichheitsdebatten spätestens nach der Einführung genderbezogener sowie queerer Semantiken um ein Vielfaches erweitert und ausgedehnt. In seinem TED-Vortrag „Why Gender Equality is Good for Everyone – Men Included“ ‚outet‘ sich 2015 der (inzwischen der sexuellen Belästigung beschuldigte) US- amerikanische Soziologe Michael Kimmel als weißer Mann der Mittelschicht, und macht aus der ehemaligen – bereits mehrfach problematisierten – „Frauenfrage“ eine Frage des ‚Entitlement‘.

Durch Beiträge wie diese entstehen neue Diskurserzeugungen und Auseinandersetzungen um Deutungshoheiten und Zugehörigkeiten. Wer ist befugt, was auszusprechen? Wer kann den Begriff Feminismus für sich reklamieren und Anspruch darauf erheben?

Ein aktuell zu beobachtendes Phänomen ist auch, dass Sprüche wie Ansprüche der historischen Frauenbewegungen eine neuartige, bisweilen gar glamouröse Konjunktur erfahren und gleichzeitig massentauglich werden. Symptomatisch dafür können Begriffskonstrukte wie „Gender Mainstreaming“ oder „Mainstream-Feminismus“ gelesen werden, bisweilen von konservativen oder gar neurechten Kräften diskreditierend genutzt. In den USA wurde 2017 Feminism als Merriam-Webster’s Word of the Year gekürt. Neben der Diskurserzeugung im akademischen Bereich beobachten wir eine zunehmende Zirkulation des Begriffs via Hashtagging in der Popkultur (bspw. #HipHopFeminismus). Auch wird eine Aufwertung weiblicher Erfahrungen quasi ex ovo behauptet (bspw. #Brelfie, #PussyPower, #FrauenPower, #PussyHat, #Pink, #PussyHatKnitting). Adichies „We should all be feminists“ wird spätestens nach dem Dior-Catwalk 2016 als T-Shirt-Aufschrift getragen. Doch damit droht sich die (alte) Frage nach de r Ausgrenzung von Frauen in die Weiblichkeitsverwertungsmaschinerie der New Economy aufzulösen. Wie also können popkulturelle Phänomene dazu beitragen, die Frauenbewegung in die kommende Generation zu vermitteln? Können sie es überhaupt? Welche Herausforderungen bilden die nicht zuletzt konsumkapitalistisch getragenen Verschlagwortungen einer nicht weiter (aus)differenzierten Bezugnahme auf Feminismus?

Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die etwa die US-amerikanische Theoretikerin Nancy Fraser in ihrer bahnbrechenden Studie Halbierte Gerechtigkeit 2001 dringlich formulierte, scheint unter den Effekten pandemiebedingter Ungleichverteilung (u. a. in der Pflegearbeit, #care) erneut akut.

Vor diesem komplexen Hintergrund fragt das Heft nach den Herausforderungen eines global und dekolonial sowie antidiskriminierend getragenen Feminismus und seiner Dissonanzen – zwischen gelebten Körpern und öffentlichen Stimmen, zwischen genealogischer Bezugnahme und (neoliberalistischen) Verwertungsmaschinerien. Der Fokus liegt somit auf Anerkennungspolitiken wie auch auf Irritationsmomenten, deren öffentliche Bandbreite von Sexismus bis hin zu neuen Strategien von Sichtbarkeit und Sichtbarkeitsdrängen reicht.

Das Heft ist als Glossar konzipiert. Beleuchtet werden sollen jene seit den 2010er Jahren entfachten, sich nicht zuletzt im Zuge der #MeToo-Debatte (in der Folge #InclusionRider, #TimesUp) vielfach neuen, teilweise disparaten Konnotationen, Formen und Umformungen, Bildsprachen sowie Diskurserzeugungen, mit denen #Feminismus aktuell verbunden wird. Erwünscht sind für die Ausgabe wie ://sprechen wir #feminismus?// neue globale Herausforderungen bevorzugt mit Hashtag gekennzeichnete Beiträge, die sich den (neuen?) Signifikanten widmen, mit denen sich die Formen des Feminismus in den 2020er Jahren erweitern und bereichern lassen – Ambivalenzen und Missverständnisse inklusive. Eingeladen werden Beiträge (ca. 1–2 Seiten) zu #Begriffen wie den bereits erwähnten #BlackFeminismMatters, #MosqueMeToo, #GenderEquality, #equalitymatters, #IchWill, #accelerateacceptance, #LGBTQ, #WomenRightsAreHumanRights oder #Post-Cyberfeminismus…, begrüßt werden ebenso Begriffsbildungen und -kombinationen.

Die 70. Ausgabe wird zweisprachig sein, willkommen sind Beiträge in englischer oder deutscher Sprache. Die Texte werden in der Originalsprache abgedruckt.

Bitte schicken Sie bis zum 1. März 2021 ein Abstract (ca. 200 Wörter) und einen kurzen CV an Elena Zanichelli und an Valeria Schulte-Fischedick (bitte senden an Anne Seiler: aseiler@msi.uni-bremen.de <mailto:aseiler@msi.uni-bremen.de> ), die gerne auch weitere Fragen beantworten.

Die Abgabefrist für die ausgewählten Beiträge ist der 15. Juni 2021. Die 70. Ausgabe wird im Winter 2021/22 erscheinen.

FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur http://www.fkw-journal.de/index.php/fkw