Queer-Epistemologische Perspektiven auf das Scheitern

*English version below and here*

 Kulturelle, soziale und ökonomische Verunsicherung haben sich einem oft gewählten Phraseologismus zufolge weltweit zu einer ‚multiplen Krise‘ verdichtet. Die „Untergangsskizzen“[1] scheinen nunmehr jedoch veraltet, gar überholt und ihre verschiedenen Deklinationen – seien es Brexit, die sogenannte Flüchtlingskrise, die Finanzkrise, die Eurokrise und der Namen vieler – vielfältigen sich trotz inzwischen populär gewordener Diagnosen und generieren ein umso höheres Maß an kultureller, politischer und ökonomischer Brisanz und Verunsicherung, welche nicht selten in extremistische Diskurse abdriften. Es scheint so, als würde der ständige Rekurs auf das semantische Feld der Krise sowie auf ihre Begleiterscheinungen wie Prekarität, Katastrophe und Zerfall, blind für Lösungsansätze und die Zukunft machen. Mit der Denkfigur des Scheiterns soll dieser Frage mehr Bewusstsein zukommen und anstatt Krisen und deren Auswirkungen auf Bestehendes immer wieder neu zu beschreiben, zu analysieren und im Krisenhaften zu verharren, das Fehlschlagen und das Brüchigwerden zugelassen werden und so Fluchtlinien einer Zukünftigkeit und deren Potentialität nachgespürt werden.

In seiner bahnbrechenden Vorlesung „How to Do Things with Words“ (1955) entwirft J.L. Austin den sogenannten performative speech act, „the issuing of the utterance in the performing of an action […].“ Anders als der konstatierende Sprechakt, der wahr oder falsch sein kann, ist der performative entwederfelicitous oder infelicitous, gelingt also oder schlägt fehl. Eine besondere Art fehlschlagender performativesseien folgende, „said by an actor on the stage […]. Language in such circumstances is in special ways […] used not seriously, but in ways parasitic upon its normal use [….].” Judith Butlers (1990, 1997, 2004, 2015) und Jack Halberstams (2011) queer-feministische Kritik an der normierten Epistemologie des Scheiterns der performative soll als Ausgangspunkt genutzt werden, Austins Abwertung der theatralen performative als „void“, „hollow“ und „parasitic” als innovatorisch, erneuernd, (de- )konstruktiv zu wenden.

Halberstams Denkfigur der Queer Art of Failure (2011) bestimmt das Scheitern als produktive Irritation, “[which] can be used to recategorize what looks like inaction, passivity, and lack of resistance[,], […] as a way of refusing […] dominant logics of power and discipline and as a form of critique.“ (Halberstam 2011, 88) Im Sinne José E. Muñoz ist Scheitern somit als Futurität zu verstehen, als „a structuring and educated mode of desiring that allows us to see and feel beyond the quagmire of the present […] [and] essentially about the rejection of a here and now and an insistence on potentiality for another world.“ (Muñoz 2009, 1)

Ziel der Ringvorlesung ist es, mittels interdisziplinärer Zugriffe performative Strukturen freizulegen, die im Zuge umfassender Krisen in Reaktionen und Intervention, theatral-performativer, politischer, ökonomischer, aktivistischer u.a. Art und Weise nicht nur (neues) soziokulturelles Potential freilegen, über die Zerfallsvisionen der Krise hinauszudenken und epistemologisches Potential für eine Zukünftigkeit freizusetzen, sondern welche auch zur Emergenz neuer oder Wiederbelebung alternativer Gegenwartsvisionen führen. Mit Halberstam (2011, 88) lässt sich das Anliegen folgendermaßen zusammenfassen: „[The] hidden history of pessimism, a history moreover that lies quietly behind every story of success, can be told in a number of different ways […] drama without a script, narrative without progress. The queer art of failure turns on the impossible, the improbable, and in losing it imagine other goals for life, for love, for art, and for being“ (Ibid.)

Einreichung

Für die interdisziplinäre Ringvorlesung im Sommersemester 2019 (April-Juli) werden Referent*innen aus verschiedensten Disziplinen gesucht, die zu einer queer-epistemologischen Perspektivierung des Scheiterns beitragen. Eine Publikation der Beiträge in der Open-Access-Reihe Rostocker Interdisziplinäre Gender und Queer Studien ist vorgesehen. Wir bitten um Einsendung eines Abstracts von 1-2 Seiten inkl. Bibliografie sowie einer kurzen Darstellung der Referent*innen. Für Anreise und Unterkunft ist eine finanzielle Unterstützung vorgesehen. Deadline für die Einsendung der Abstracts ist der 30.11.2018.

 gez. AG Gender und Queer Studien (Christoph Behrens, Chris Hiller, Annalisa Schmidt)

Mail: gender.queer@uni-rostock.de

Website der AG, CfP in pdf (DE/EN)

Bibliografie

Austin, John L. (1962): How to Do Things with Words. Oxford: Clarendon Press.
Bailes, Sarah Jane (2011): Performance Theatre and the Poetics of Failure.London: Routledge.
Butler, Judith (2006) [1990]. Gender trouble: feminism and the subversion of identity. New York: Routledge.
Butler, Judith (1997). Excitable speech: a politics of the performative. New York: Routledge.
Butler, Judith (2004). Precarious life: the powers of mourning and violence. London New York: Verso.
Butler, Judith (2015). Notes toward a performative theory of assembly. Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.
Halberstam, Jack (2011): The Queer Art of Failure. Durham: Duke University Press.
Muñoz, José E. (2009): Cruising Utopia. The Then and There of Queer Futurity. New York: New York University Press.
[1]Cf. Wille, Franz: Im Kreml brennt noch Licht. Einige Entwicklungen des Theaters der neunziger Jahre. In: Theater heute Jahrbuch 1999. Berlin 1999. S. 46- 55. S. 49.