Workshop

Gewaltforschung und (Selbst-) Reflexion

HU Berlin, ZtG
am 18. – 19. Oktober 2019

Zielgruppe:
Promovierende, PostDocs sowie fortgeschrittene Studierende im Masterstudium der Sozial- und Geisteswissenschaften mit Bezug zur Thematik (z.B. Forschungen zu sexualisierter, häuslicher Gewalt, Partnerschaftsgewalt, Genozidforschung, Forschungen zu sozialer Ungleichheit oder Unterdrückung).

Die maximal Teilnehmer_innenzahl ist auf 20 Personen begrenzt. Anmeldung mit kurzer Beschreibung des eigenen Projekts  zur Gewaltthematik und Projektphase ist erforderlich und zu richten an: ztg-sekretariat@hu-berlin.de

Teilnahmevoraussetzungen:
Bereitschaft zu (Klein-)Gruppenarbeiten, Offenheit gegenüber auch praktischen Methoden der Introspektion und Selbstreflexion sowie Körperarbeit, psycho-soziale Grundstabilität

Idee/ Hintergrund:

„The readiness to involve oneself with the respondent´s perspective is crucial for producing and consolidating knowledge in the interaction between researcher and respondents“

(Andreas Witzel & Herwig Reiter, 2013: The Problem-Centred Interview: Principles and Practice )

Aber was bedeutet es für uns, wenn der/ die gegenübersitzende Interviewpartner_in über die eigene Täterschaft und Gewalt berichtet? Was löst es in uns aus, über sexuellen Missbrauch, Psychopathologien und Traumata zu lesen und selbst an die eigenen traumatische Erfahrungen erinnert zu werden, oder überhaupt erst durch das Interview zu erkennen, das bestimmte Erfahrungen traumatisch waren? Wie gehen wir mit einem Menschen um, der sich im Rahmen eines Interviews offenbart, Gewalt erlebt oder ausgeübt zu haben? Wie fühlt es sich an, nach mehrstündiger Aktenanalyse über Kinderschutzprozesse oder Frauentötungen eigenes Privatleben weiter zu führen?
Im Zuge der Etablierung qualitativer Erhebungs- und Auswertungsmethoden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkte sich die Debatte um die Haltung der Forschenden zur Empirie. Sie entzündete sich um die paradigmatische Frage danach, inwieweit es gefordert, möglich, oder sinnvoll ist, sich entweder von dem zu Beforschenden zu distanzieren, sich diesem hin- und zu zuwenden, oder gar selbst Teil davon zu sein. Daran knüpfen Fragen danach an, wie weit wir Forschungspraxis als eine Alltagspraxis begreifen, sowie nach der Relation von Alltags- und Wissenschaftskompetenz, vor allem dann, wenn wir Wahrnehmungen immer als Verweise auf einen ihnen zugrundeliegenden Sinn verstehen. Das besondere an der Gewaltforschung ist in diesem Zusammenhang, dass ihr Untersuchungsgegenstand und alle damit im Zusammenhang stehenden Phänomene tabuisiert werden. Sowohl eigene Täter,- als auch Opfererfahrungen werden oft gesellschaftlich hochgradig moralisiert und können damit zu Teilen schwer reflektiert werden. Somit forschen Gewaltforscher_innen häufig über die Schattenseiten der anderen, ohne eigene Schatten überhaupt zu kennen.
Die dem Workshop zugrundeliegende Annahme ist dabei, dass die Involviertheit der Forschenden immer dann besonders hoch ist, wenn sie sich mit Themen beschäftigen, die die Grundfeste des Mensch-Seins betreffen: Themen um Konflikte und Gewalt, Missbrauch und Unterdrückung. In diesem Workshop vertreten wir die Meinung, dass Wissenschaft aus ethischen und methodologischen Gründen heraus Stellung dazu beziehen muss. Sei es mit Blick auf die Transparenz normativer Haltungen, oder um die eigene Involviertheit als Qualität anzuerkennen und zu nutzen. Solche Auseinandersetzungen finden in universitären Seminaren und Vorlesungsstrukturen jedoch wenig Raum. Aber gerade unsere eigene Haltung zur Gewalt ist hier so relevant. Welche persönlichen Einstellungen und Interpretationen haben wir also zu Gewalt und inwiefern beeinflussen uns diese in unserer Gewaltforschung?
Hierfür soll dieser Workshop einen Anstoß geben und uns darin unterstützen, uns selbst und unsere in der Regel nicht transparenten Ideen und Vorstellungen um und über Gewalt besser kennenzulernen. Damit kann das eigene Wissen gestärkt werden und uns neue Perspektiven für die Feldforschung und die Materialanalyse eröffnen. Der Workshop soll zudem die Möglichkeit bieten, sich in einem sicheren Rahmen über Belastungserfahrungen im Zuge der eigenen Projekte auszutauschen.

Aufbau des Workshops:
Am ersten Tag, dem 18.10., werden unterschiedliche Methoden vorgestellt und erprobt.
Am zweiten Tag, dem 19.10, widmen wir uns stärker der Selbstreflexion bezogen auf konkrete und/oder eigene Forschungsvorhaben. In Vorbereitung des Workshops bekommen Workshop-Teilnehmende Texte von Forscher_innen, die über ihre eigene Erfahrungen mit Gewaltforschung schreiben. Wir werden über diese Texte, vorgestellte Methoden sowie eigene Erfahrungen reflektieren.
Ziele des Workshops
•    Anregen der Selbstreflexion über die eigene Einstellung und Haltung zur Gewalt
•    Sensibilisierung von wirkenden Eigentheorien über Gewalt
•    Eigene Opfer- und Täteranteile kennenlernen
•    Reflexion des Involviert-Seins und die Veränderung der wirkenden Eigentheorien durch die eigene Forschungsarbeit
•    Reflexion über die gängigen Westlichen Forschungsmethoden und deren Anwendung in der Gewaltforschung
•    Ressourcen finden/ Selfcare

Methoden:
•    Theaterpädagogik nach dem Theatre for Living
•    Achtsamkeitsübungen
•    Methoden aus der psycho-sozialen Gewaltberatung
•    Arbeit mit Introjekten, angelehnt an Innere Teilearbeit
•    Methoden der Traumaarbeit
•    Konflikttheoretische Methoden
•    Kommunikationstheoretische Methoden
•    Sharing, Sharing, Sharing

Workshopleitung:

Der erste Tag des Workshops wird von Rebecca Gulowski und Lisa Knorr und der zweite Tag von Ksenia Meshkova geleitet.

Rebecca Gulowski ist Konflikt- und Gewaltforscherin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut München sowie als psycho-soziale Beraterin am FrauenTherapieZentrum München. Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit Themen um (sexualisierte) Gewaltkonflikte und Gewaltdynamiken, Leib-Körper-Verhältnisse, interdisziplinäre Gewalt- und Konflikttheorien sowie Methodologien der Verkörperung.
Lina Knorr ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Asien-, Afrikawissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin. Sie arbeitet dort im Bereich transregionale Südostasien Studien. In ihrem Dissertationsprojekt beschäftigt sich Lina Knorr mit sexualisierter Gewalt an indonesischen Hochschulen und Implementierungsversuchen von Präventivmaßnahmen. In ihrer vorangegangenen Forschung untersuchte sie, inwiefern matriarchale Gesellschaftsstrukturen innerhalb eines Männer dominierten Politiksystems und stärker werdenden islamischen Ordnungssystem beibehalten werden können. In ihrer eigenen akademischen Ausbildung der sozialwissenschaftlichen Konfliktforschung erlernte sie ebenfalls verschiedene Methoden des embodied Peacework.

Ksenia Meshkova promoviert am ZtG zur Partnerschaftsgewalt und Weiblichkeitskonstruktionen in Russland. Ksenia arbeitet in unterschiedlichen Projekten der Gewaltforschung, wie z.B. die aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, die im Oktober 2019 veröffentlicht wird. Außerdem ist Ksenia Meshkova Vorstandsmitglied in der Fachgesellschaft Gender, Vorstandsmitgleid der European Femicide Observatory und Organisatorin der jährlichen Early Career Researchers Day in European Network on Gender and Violence. Ihre Forschung wurde von Friedrich Ebert Stiftung, DAAD und Nordic Council of Ministers gefördert.