Über 120 Promotions- und über 100 weitere Forschungsprojekte auf der Homepage der Fachgesellschaft Geschlechterstudien belegen Vielfalt, Aktualität, Ertrag und Relevanz der Geschlechterforschung.
Deutlich zeigen diese Projekte, dass die Geschlechterstudien ein heterogenes trans- wie interdisziplinäres Forschungsfeld bilden, in dem aus verschiedenen theoretischen Perspektiven und mit unterschiedlichen methodischen Werkzeugen die gesellschaftliche Bedeutung von Gender und die vielfältigen Ausgestaltungen von Geschlechterverhältnissen analysiert werden.
Aktuelle Projekte fragen etwa nach den Auswirkungen der Digitalisierung des Alltags auf Geschlechterbilder und -verhältnisse, sie untersuchen die Zukunft der Arbeit und neue Familienkonstellationen, setzen sich mit der Einführung des 3. Geschlechtseintrags auseinander und erheben Daten zum demographischen Wandel. Auswirkungen auf Geschlechterkonstellationen werden auch mit Blick auf erneuerbare Energien etwa in Ländern des Globalen Südens oder unter Bedingungen von Austeritätspolitiken erforscht. In Kooperation mit Geschlechterforscher*innen werden gegenwärtig darüber hinaus von Bundes- und Landesinstitutionen geschlechtersensible Maßnahmen zur Gesundheitsprävention wie zur gesunden Ernährung entwickelt. In allen diesen Forschungsprojekten werden gesellschaftliche Problemlagen und Fragestellungen aufgegriffen. Diese werden insbesondere in der kritischen Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt sichtbar, die nicht erst seit #MeToo und der Kölner Silvesternacht von 2016 einen wichtigen Forschungsstrang der Geschlechterstudien darstellt. Gegenwärtig widmen sich verschiedene Forschungsprojekte der Analyse von Gewalt als gesellschaftlicher Struktur, als Interaktionsmuster und Ordnungsmacht. Grundlegend fragt das BMBF Verbundprojekt „Schutzkonzepte in der Kinder- und Jugendarbeit“, das seit August an den Hochschulen Kiel, Hildesheim, Landshut und Kassel arbeitet, was Jugendliche eigentlich als sexualisierte Gewalt einschätzen, und wie dementsprechend Schutzkonzepte der Kinder- und Jugendarbeit zu entwickeln sind. Im Anschluss an geschlechtersensible Analysen von Gewalt wird u.a. auch nach konkreten Umgangsweisen und Interventionen gesucht, so z.B. die Studie „Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – Lösungsstrategien und Maßnahmen zur Intervention“, die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes entstand. Ziel ist es hier, nachhaltige Präventionsmaßnahmen zu implementieren, um der sexuellen Belästigung von Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz entgegenzutreten.
Da es oftmals konkrete Problemlagen und Fragestellungen sind, die in den Geschlechterstudien bearbeitet werden, konnten Forscher*innen für ihre Projekte Mittel der Europäischen Union, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie verschiedener Landesministerien und Stiftungen einwerben. Andere finanzieren ihre Forschungen durch Eigenmittel. Methodisches Instrumentarium, theoretische Konzepte und Erkenntnispotentiale der Gender Studies werden durch und in diesen Forschungen ständig weiterentwickelt. Damit stellen die Gender Studies ein Wissenschaftsfeld dar, das Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen zu liefern vermag.
Die Heterogenität der Geschlechterstudien wie auch das Erkenntnispotenzial der Geschlechterforschung zeigen sich nicht zuletzt darin, dass diese analytische Perspektive in vielen Fachdisziplinen verankert wurde, was die jeweiligen erkenntnistheoretischen wie methodischen Herangehensweisen ohne Zweifel bereichert und erweitert hat: In Bildungswissenschaft, (Europäischer) Ethnologie/Kulturanthropologie, Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft, Naturwissenschaften, Rechtswissenschaft, den Philologien, der Philosophie, Soziologie, Wirtschafts- und Technikwissenschaft u.v.m. stellen Fragestellungen und Perspektiven der Gender Studies eine wichtige Erkenntnisperspektive dar. Geschlechterforschung zeichnet sich mithin durch ihre inter- und transdisziplinäre Ausrichtung aus. Verbindendes Element ist jedoch die Frage nach den Effekten und Funktionsweisen von Geschlecht als Struktur- und Ordnungskategorie und als performative Kraft gesellschaftlicher (Re-)Produktion sowie die damit verbundene Einsicht, dass Geschlecht auf vielfältige Weise mit anderen, sozial wirksamen Kategorisierungen verwoben ist. Wie und wo Gender wirksam wird, wie und wo es außer Kraft gesetzt wird, das sind offene Fragen, die theoretische wie empirische Antworten erfordern. Gemeinsames Ziel ist es, auf Muster und Strukturen, Wirkungen und Effekte aufmerksam zu machen, die in Vergangenheit und Gegenwart an unterschiedlichen Orten Geschlechterverhältnisse als Ungleichheitsverhältnisse hervorbringen. Offengelegt werden komplexe sozioökonomische und kulturelle Zusammenhänge, deren Dynamik und/oder Persistenz, deren Regeln und Besonderheiten jeweils lokal wie historisch situiert sind.
Die Fachgesellschaft trägt weiterhin dazu bei, die Erkenntnisse und Potenziale der Geschlechterforschung kostenfrei und öffentlich zugänglich machen. Aktuell können im „Open Gender Journal“ wissenschaftliche Diskussionen und Forschungsergebnisse barrierearm publiziert und unter freier Lizenz abgerufen werden. Das Journal ist Teil der neu gegründeten, von der Fachgesellschaft getragenen „Open Gender Platform“ (gefördert durch das BMBF), innerhalb der das Margherita-von-Brentano-Zentrum (FU) seit Juni 2018 zu den sich verändernden Publikationsbedingungen forscht und nachnutzbare Open-Access-Lösungen für alle Forschenden zur Verfügung stellt. Auch das Verbundprojekt „GenderOpen – Ein Repositorium für die Geschlechterforschung“ sichert die Erträge der Geschlechterforschung und macht sie elektronisch verfügbar. In Zusammenarbeit dreier Berliner Universitäten und von der DFG gefördert, bauen das Margherita-von-Brentano-Zentrum (FU), das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (HU) und das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (TU) gemeinsam dieses disziplinäre Repositorium auf.
Interessierte wie Wissenschaftler*innen laden wir herzlich zur Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien ein. Hier erhalten Sie Einblicke in die unterschiedlichen genannten Forschungsprojekte und können mit uns die Geschlechterstudien als Wissensgebiet und Wissenschaftsfeld weiterentwickeln. Die nächste Jahrestagung findet vom 4.-6. Juli 2019 an der FernUniversität in Hagen statt und widmet sich methodischen, methodologischen und theoretischen Fragen und Ansätzen der Geschlechterforschung: http://www.fernuni-hagen.de/tagung-fg-gender/
Der Vorstand der Fachgesellschaft Geschlechterstudien