Statement zum Wissenschaftstag #4genderstudies
Für einen differenzierten Gewaltbegriff und gegen die Kulturalisierung sexualisierter Gewalt
Das Thema Gewalt durchzieht die Frauen- und Geschlechterforschung seit ihren Anfängen. Seit den 1970er Jahren lag der Fokus darauf, strukturelle Gewalt als Bestandteil von Geschlechterverhältnissen sichtbar und Vergewaltigung in der Ehe als Gewalt ahndbar zu machen sowie familiäre und häusliche Gewalt als Bestandteil von Lebensrealitäten zu problematisieren. Sexualisierte Gewalt ist Ausdruck von Macht und ereignet sich auf dem Feld von Sexualität.
Die Geschlechterforschung hat vor allem darauf hingearbeitet, die verschiedenen Gewaltformen zu historisieren und somit auch zu entnaturalisieren. Erst wenn Gewalt als soziales, strukturelles und politisches Problem anerkannt wird, können sich Gesellschaften mit deren Ursachen und Folgen produktiv auseinandersetzen und am Schutz vor Gewalt arbeiten. Gewaltformen sind folglich mit gesellschaftlichen Strukturen verbunden und befinden sich gleichsam mit Veränderungen in der Gesellschaft im Wandel. In den letzten Jahrzehnten hat die Geschlechterforschung mit unterschiedlichen analytischen Konzepten dazu beigetragen, deren Funktionieren besser zu verstehen.
Heute bietet die Geschlechterforschung zu Gewalt differenzierte Analysen: zu nennen ist hier z.B. die Abkehr von einfachen vergeschlechtlichten Täter-Opfer-Beschreibungen, die profunde bereits zwei BMBF-Förderphasen umfassende Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in pädagogischen Kontexten oder das Thema digitale Gewalt und hate speech. Das Internet gilt dabei sowohl als „safe space“ für marginalisierte Gruppen, wie People of Color, Frauen* oder Queers; zugleich sind gerade diese Gruppen und Personen primäres Ziel von digitaler Gewalt, wo – ganz wie im „Wilden Westen“ – das Recht des Stärkeren sich durchsetzt und gilt, während marginalisierte Identitäten zurückgewiesen werden. In Cybersexism: Sex Gender and the Power of the Internet (2013) plädiert Laurie Penny beispielsweise dafür, auch Cybergewalt als Gewalt zu werten. Obwohl der Zusatz ‚Cyber‘ suggeriert, dass diese Form von Gewalt nicht in einem realen Raum stattfindet, dient sie letztendlich dazu Frauen* und andere marginalisierte Gruppen auszuschließen und ihre Stimmen verstummen zu lassen. Im Schlagwort „Cybersexismus“ wird dies zusammengefasst.
An der Schnittstelle von aktuellen Migrations- und Sexualpolitiken lässt sich seit 2016 in rechtspopulistischen, aber auch medialen Alltagsdiskussionen zunehmend eine „Instrumentalisierung von Gewalt“ beobachten: Sexualisierte Gewalt wird Post-Köln als von außen kommend, von Geflüchteten und Migrantisierten ausgehend beschrieben, mithin ethnisiert (vgl. kritisch Dietze 2019; Hark/Villa 2018). Das racial profiling im Alltag, und die vielfachen Gewalterfahrungen auf der Flucht und beim Ankommen, ebenso wie die Zunahme von rassistisch, sexistisch und antisemitisch motivierten Gewalttaten in Deutschland auch im Rahmen der bejubelten Willkommenskultur wird hingegen dethematisiert oder über die ansteigende Angst vor ‚dem Fremden‘ zu legitimieren versucht.
Noch immer ist und bleibt Geschlecht im Zusammenwirken mit race, Ethnizität, Flucht und Migration ein entscheidender Auslöser von Gewalt, zu denen beispielsweise auch rassistische, antisemitische oder sexistische Gewaltphänomene zu zählen sind. Geschlechts- und ethnizitätsspezifische Zuschreibungen spielen eine zentrale Rolle in Kriegskonflikten und bei Grenzziehungen aller Art. Zahlreiche historische Studien zum Krieg, wie zum Beispiel die der Historikerin Miriam Gebhard Als die Soldaten kamen. Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs (2015), zeigen, wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen auf besetzten Territorien als Ausdruck der Eroberung und Beherrschung eingesetzt wurde. Auch bei der gesellschaftlichen Deutung und der sich daraus ergebenden Toleranz von Gewalt sind Geschlecht und/oder Race konstitutiv. Beispielsweise kann eine höhere Gewalttätigkeit oder Gewaltbereitschaft einer rassifizierten oder ethnischen Gruppe zugeschrieben werden, wobei gleichzeitig umgekehrt sexistische Gewalt, häusliche Gewalt oder Formen gewaltdurchzogener Pädagogik toleriert bzw. über einen langen Zeitraum nicht als gesellschaftliches Problem angesehen wurden.
Die Fachgesellschaft Geschlechterstudien zielt mit der Bündelung von Forschungsprojekten und Promotionen darauf, die interdisziplinären Auseinandersetzungen auch mit Gewalt und Macht in Geschlechterverhältnissen aufzuzeigen und zu einer empirisch fundierten Diskussion beizutragen, die gegen kulturalisierte Zuschreibungen argumentiert. Gegenwärtig untersuchen verschiedene Projekte in den Gender Studies mit Formen struktureller, epistemischer und symbolischer Gewalt, mit psychischer und schließlich auch physischer Gewalt in ihren je spezifisch situierten Artikulationsweisen. Über gegenwärtig laufende und bereits abgeschlossene Forschungs- und Promotionsprojekte in diesem Forschungsfeld informiert die Homepage der FG Geschlechterstudien unter der Rubrik Forschung.